Kalt, dreckig, laut – und pleite…

Oder: Insolvenz der Hannover Indians – Ende oder Chance?

 

Hallo meine lieben Mitleidenden.

Zunächst eine kleine Vorgeschichte zu mir und meinem Eishockeywerdegang. 1998 wurde ich mit dem Virus infiziert. Begonnen hat alles für mich bei den Revier Löwen Oberhausen, dem ehemaligen DEL-Club, der den Fans aus Ratingen unter den Füßen weggezogen und im Ruhrgebiet in die KöPi Arena gepflanzt wurde. Für die Fans der Ratinger Löwen ein schwerer Verlust. Für mich der Anfang einer neuen Liebe. Retortenclub hin oder her, ich hatte innerhalb weniger Spiele mein Herz verloren, war bis zum Ende der Arenazeit stolzer Dauerkartenbesitzer und das Aus hat mich damals schwer getroffen.
Neustart 2004. Mangels geeigneter Spielstätte Interimslösung Gelsenkirchen. Regionalliga West. Direkter Aufstieg in die Oberliga. Hallenpläne liefen auf Hochtouren. Touristenstadt Oberhausen zerschmetterte eine Idee nach der nächsten. Investoren waren Mangelware. Sportlich ging es bergab. Die Fans wanderten ab. 2006 – Insolvenz der Revier Löwen „Oberhausen“. Drei sehr ereignisreiche Spielzeiten lagen hinter dem harten Kern der Löwenfans, der mit 200 Personen noch großzügig gehandelt ist.
Diesmal ist es endgültig. Mangels Halle in der Heimat gibt es in diesem teuren Sport, der aufgrund der äußeren, mehr als komplizierten Umstände immer unattraktiver wird, keine Zukunft. Ein Kapitel, dass mich und viele andere über Jahre begleitet, geprägt, Zeit und Nerv gekostet hat. Aber: Ich habe es geliebt und auch heute wünsche ich mir nichts sehnlicher als eine gottverdammte Eishalle in dieser 200.000 Einwohner starken Stadt im westlichen Ruhrpott. Dieser Wunsch wird leider nie in Erfüllung gehen.

Aufgrund von persönlichen Beziehungen und alten „Hasslieben“ hat es mich dann zu den Erzrivalen, den Ratinger Ice Aliens, verschlagen. Ich wurde akzeptiert, habe neue Freund- und Bekanntschaften geschlossen. Konnte mal gutes, mal katastrophales Eishockey in einer zum Teil recht gut gefüllten Eishalle am Sandbach erleben. Dann auch hier der Schock: Insolvenz. Der Präsident hatte sich wohl verzockt. Man weiß es nicht. Und ehrlich: Man will es auch gar nicht wissen. Das wohl beste Team der letzten Jahre beendete die Saison. Neustart. Zuschauerzahlen gehen drastisch zurück. Preis-Leistung stimmt vorne und hinten nicht. Die Konkurrenz beim Eishockey ist enorm. König Fußball bestimmt die Medien und die Geldbeutel des gemeinen Volkes. Heute stehen die Aliens kurz vor dem Abstieg in die 4. Liga mit einem minimalistisch gestalteten Kader, der aufopferungsvoll immer wieder und wieder vor neuen Herausforderungen auf dem Eis steht. Ironie des Schicksals: Die Halle am Sandbach ist geschlossen worden. Ausweichhalle Benrath. Viele Spiele werden als Heimspiele bei den Gegnern ausgetragen. Es kommt mir vor wie ein ekelhaftes Déjà Vu.

Ich will was von der Welt sehen…

2010 habe ich zudem das Hoppen für mich entdeckt (= Verein egal, im Vordergrund stehen „neue Hallen“). Länderspiele besuchen. 2011 meine erste WM im Ausland. Neue Leute treffen. Bierchen trinken. Möglichst wenig Emotion zulassen, außer bei der Nationalmannschaft. Wie wird es einem dort gedankt? Bei der WM in Schweden mit Ach und Krach den Klassenerhalt geschafft. In Bietigheim die Olympia Qualifikation verkackt. Danke schön.

Eine neue Liebe…

Mit den wenigen Emotionen hat’s dann auch nur zum Teil geklappt. Hannover hatte es mir angetan. Der Turm, die Atmosphäre, … jede Menge liebe Leute kennen gelernt. Enge Freundschaften geschlossen! Das „Kalt, dreckig, laut“-Image gefiel mir schon zu Zeiten, als ich selbst noch einen Verein hatte. Da war man jedoch eingespannt … in der Zeit habe ich nicht sonderlich über den Tellerrand geblickt. In den letzten Jahren dann aber hat mich der Pferdeturm in seinen Bann gezogen. 250km wurden regelmäßig überbrückt, um in eisiger Kälte das ein oder andere Spiel am Turm zu verfolgen. Auswärtsfahrten bei Highlights wie der Schiffstour nach BHV oder dem Sonderzug nach Rosenheim standen rot im Kalender. Endlich wieder Eishockey mit Emotion. Mitfiebern. Mitsingen. Daumen drücken. Fanartikel kaufen. Sich ’nen Ast abfreuen über ein geschenktes Trikot. Von der Sprecherkabine aus den Blick auf das Eis genießen. Beim Teddy Toss Kuscheltiere einsammeln. Im Müllerchen nachts um 4 bei 3 Promille auf’m Tisch „Schatzi schenk mir ein Foto“ gröhlen. Bomber beim Sommersuff im Flunkyball besiegen! Leute am Turm begrüßen, dessen Namen ich immer noch nicht weiß, weil ich mir die Masse an Namen einfach nicht merken kann. Mein Löwen-Trikot im Müllerchen liegen lassen und genau  wissen: Irgendwie wird es mich erreichen. …….

Ich könnte die Liste ewig so fortführen. Die Flut an Erinnerungen, die ich an den Pferdeturm, an die Leute, an die Fangemeinschaft, an die Atmosphäre, den Zusammenhalt, den Spaß und – am wichtigsten – die geschlossenen Freundschaften habe, lässt mich einfach nur lächeln.

…Ich glaub es geht schon wieder los…

ABER: Mein Leben scheint sich in einer eishockeyfeindlichen Zeitschleife zu befinden. Am 27.02.2013 meldet die EC Hannover Indians GmbH Insolvenz an. Für einen Aprilscherz zu früh. Und für eine Marketing-Aktion zu makaber. Der Schock sitzt tief. Meine Erfahrungen auf diesem Gebiet geben mir einen Einblick, was die Indiansfans durchmachen. Knackpunkt Nummer 2: So wie es ist, kann am Pferdeturm, einer  der absoluten Kultstätten im deutschen Eishockey, langfristig kein Profi-Eishockey gespielt werden. Die Videos, die zu der kurzfristigen PK und dem Fanmeeting online gestellt werden, sind bedrückend. Dirk Wroblewski, Geschäftsführer der GmbH, wird in Wellen von der Dramatik der Situation erfasst. 20 Jahre Fan. Dann Geschäftsführer. Visionär. Träumer?

Wo liegen die Gründe für das Scheitern? Jede Menge steht im Fokus der Diskussion. Das vertragliche Verhältnis zur Hallenbetreiberin. Die Ausstattung der Spielstätte. Die Konkurrenz mit den Scorpions, Hannover 96 usw. Der Mangel an Sponsorengeldern. Der Zuschauerrückgang. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo in der Mitte und da bereits länger private Mittel zugeschustert wurden, um den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten, wurden natürlich seitens der Verantwortlichen Fehler gemacht, was D.W. auch beim offenen Gespräch eingeräumt hat. Willkommen im Risikogeschäft „Eishockey“.

Alternativen wurden bereits im laufenden Betrieb gesucht. Langenhagen. Kooperation mit dem DEL-Konkurrenten hinsichtlich der TUI-Arena. Die Hoffnung, den Turm zu modernisieren, um ein Stück des Kults zu bewahren. Gefruchtet hat es bisher nicht. Die Frage ist somit: Wie wird es weiter gehen?! Im Video wurde bereits aus den Fanreihen ein Spendenkonto gefordert. An dieser Stelle konnte Dirk W. die Tränen nicht mehr zurück halten. Herzblut pur. Ich weiß aufgrund der Kameraeinstellung nicht, wie es im Zuschauerbereich ausgesehen hat, aber selbst bei mir sind in diesem Moment alle Dämme gebrochen und ich habe geheult wie ein Baby.

Kämpfen bis zum Ende!!!

Es gibt derzeit seitens der Fans (allen voran die ECHten Hannoveraner) die Kampfansage gegen die Insolvenz. Spendenkonto. Retter-Shirts. Retter-Urkunden. Die Aktion „Dein letztes Hemd“, bei dem jeder Fan alte Trikots spenden kann, die zur Rettung versteigert werden sollen. Die Organisation läuft auf Hochtouren und die Fans tun alles, was in ihrer Macht steht, um IHREN Verein irgendwie aus der Scheiße zu ziehen!!!

Wir sind alle Eishockeyfans!!!

Unterstützung erfahren die Indians derzeit nicht nur aus eigenen Reihen sondern auch aus der Heimatstadt von anderen Sportvereinen sowie von Eishockeyvereinen und -fans aus der ganzen Bundesrepublik. Die Indians sind bekannt und vielerorts beliebt. Hier bekommt man als Eishockeyfan erneut den Zusammenhalt außerhalb vom Eis zu spüren. Eine oftmals unterschätzte Eigenschaft, die diesen Sport auszeichnet.

Wie wird es weiter gehen?

Positiv zu vermerken ist, dass die Saison insoweit gesichert ist, als dass die letzten Spiele noch ausgetragen werden können. Fest steht aber auch, dass die Mannschaft als Tabellenletzter als Absteiger feststeht. Grundsätzlich. Denn hier weiß niemand, was dann passiert. Steigen sie wirklich ab? Ist die Durchführungsverordnung gültig? Könnte im Fall der Fälle ein Klassenerhalt am grünen Tisch ausgehandelt werden? Muss in der OL oder ganz unten angefangen werden? Wie sieht es mit Rahmenbedingungen aus? Kann man weiter am Turm spielen? Kann er umgebaut, saniert, erweitert werden? Können die Verträge mit der Hallenbetreiberin für beide Parteien zufriedenstellend überarbeitet werden? Die Tücken des deutschen Eishockeys. Nichts genaues weiß man nicht.

Somit ist nun das primäre Ziel, den größten Schaden zu verhindern und die Insolvenz abzuwenden. Ob das Engagement der Fans reicht oder ob jede Hilfe zu spät kommt, kann niemand prophezeien. Vielleicht findet sich in der Hannoveraner Oberschicht ein Gönner (oder zwei oder drei…), der das Potential erkennt und finanzielle Unterstützung anbietet.

Letztes Heimspiel am Freitag den 15.03.2013.

Ich werde mich jedenfalls wie viele andere Indians-Sympathisanten am 15.03. zum vorerst letzten Heimspiel der Indians an den Pferdeturm begeben und die Atmosphäre noch einmal auf mich wirken lassen. Ich hoffe, ich bete, dass dies nicht das letzte Mal sein wird. Denn „Proud to be an Indian“ ist nicht nur ein Werbeslogan für eine Marketingkampagne. Eishockey am Pferdeturm ist nicht nur ein Hobby. Für viele ist es eine Lebenseinstellung. Eine Liebe. Ein für alle Ewigkeiten vergebenes Teilstück des Herzens, das in Momenten wie diesen unaufhörlich blutet. Ich gönne keinem einzigen Eishockeyfan, der mit Herz und Seele den Sport liebt und lebt, dass er den Schmerz ertragen muss, seinen eigenen Verein zu Grabe zu tragen.

In diesem Sinne wünsche ich allen Indians Verantwortlichen, Fans und Freunden das aller Beste, einen positives Ende dieser schweren Zeit und dass wir auch in der nächsten Saison wieder „Kalt, dreckig, laut“ sein dürfen!!!

Infos zu den Aktionen der ECHten findet ihr übrigens unter http://www.echte-hannoveraner.de/.

…Haun’se rein…

4 Gedanken zu “Kalt, dreckig, laut – und pleite…

  1. …wenn das liebe (verhaßte) Geld regiert und „Außerirdische“ Politik machen wird es solche Katastrophen immer wieder geben.

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